Der verkannte Star im Schatten Burgunds
Weine & Charakter: Fast nur Rotwein, je nach Ausbau leicht-mittelkräftig und immer schön fruchtig mit komplexer Tiefgründigkeit.
Rote Rebsorten: Gamay rouge, Gamay Tinturier (beide autochthon)
Weiße Sorten: Gamay blanc (autochthon), Chardonnay
Bei VINATURE vertreten: Jean-Claude „Le Chat“ Chanudet (Domaine du Père Chamonard) aus
Villié-Morgon und Julie Balagny aus Romanèche-Thorins
Wenn man die malerische Hügellandschaft des Südburgunds und deren AOP-Weißweine Pouilly-
Fuissé und Saint-Véran genossen hat, bietet es sich an, noch etwas weiter in den Süden zu fahren:
Nur Eingeweihte wissen, wo Burgunds Weinfelder aufhören und jene des Beaujolais beginnen
— in manchen Dörfern gehen sie regelrecht ineinander über. Das Landschaftsprofil ändert
sich ebenfalls nur wenig: Das Beaujolais ist etwas verwinkelter, kurviger, kleine Talmulden gehen in steil ansteigende Hänge über, Hauptstraßen gibt es nicht wirklich, bestenfalls erkennt
man einen verkehrsführenden Weg, der in Dörfer führt, in denen das Zentrum diese Bezeichnung noch wirklich verdient: Bäcker, Metzger, Nahversorger und kleine Bars sowie urige Gasthäuser vermitteln ein authentisches Bild der „France profonde“ - das ist dort, wo das Herz des ursprünglichen Frankreichs pocht.
Die Bewohner haben das Image, keine Kostverächter zu sein, und auf den Wein bezogen gilt
das gleich doppelt: Gut essen, gut trinken, herzliche, offene Gastfreundschaft, belebende Diskussionen am Tresen, hinter denen die lokalen Tropfen den hoffentlich trinkfesten (!) Besuchern
auflauern… Die Einwohner hier sagen über die nebenan gelegenen Burgunder öfters mal, sie
seien „austère“: Zurückhaltend, streng, asketisch. Dabei sind die Burgunder auch schon keine
harmlosen Zeitgenossen. Also: Gönnen Sie sich ein Wochenende im Beaujolais und Sie werden
sich sofort und dauerhaft verlieben!
Das Beaujolais als Weinbaugebiet beginnt etwas nordwestlich von Lyon, zieht sich dem Tal der
Saône folgend gut 60 Kilometer nach Norden, bis es kurz vor Mâcon (Südburgund) nahtlos in
die Burgunderweinfelder übergeht. Aus dem südlichen Drittel stammen die einfachen Trinkweine
AOP „Beaujolais“, aus dem mittleren Drittel die schon angesehenen AOP „Beaujolais Villages".
Besonders interessant ist jedoch das nördlichste Drittel: Hier finden sich die besten Tropfen,
weil hier die Böden und Einzellagen so gut sind und sich entsprechend voneinander unterscheiden,
dass sie sich unter ihrem Dorfnamen vermarkten dürfen. Zehn Dörfer sind es, und jedes
Village (frz. für Dorf) hat zumindest eine Toplage (insgesamt sind es 14), die ebenfalls auf dem
Etikett angeführt sein darf: Das sind meist sehr steile Weinberge, bestens exponiert und nur
mehr mit Hand oder mechanischem Kleingerät zu bearbeiten.
Vom Beaujolais stammt auch eine der besten Rotweinrebsorten Frankreichs: Die Gamay-
Traube. Sie kann enorm viel Menge produzieren, was ihr zum Verhängnis wurde, als der regionale Weinhändler (und Winzer) Georges Duboeuf in den 80er Jahren den Boom um den Beaujolais Nouveau ausgelöst hat: Zwar gab hier immer schon die Tradition, Mitte November den eben fertig vergorenen Jungwein zu kosten und ihn mit den Produkten aus der im ersten kalten Monat begonnenen Schlachtungen zu konsumieren. Duboeuf machte daraus jedoch innerhalb weniger Jahre einen frankreichweiten, bald europaweiten und dann sogar weltweiten Hype - Auf
den ersten Blick eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Ab dem dritten Donnerstag im November
wurde in Bars und Restaurants, in Weinhandlungen und Supermärkten der Beaujolais Nouveau
ausgeschenkt. Die produzierten Mengen waren enorm hoch, alles, was halbwegs rot war (inkl. Ochsenblut - eine Verleumdung? Wer weiß!), kam auf die Flasche, die Qualität war egal, Hauptsache das Geld stimmte… Was auf der Strecke blieb, war aber die Qualität des Weins. Bis heute löst deswegen das Wort „Beaujolais“ hierzulande berechtigterweise Naserümpfen aus. Leider ein gutes Beispiel moderner Weinindustrie, die es möglich macht, einen Wein tot zu exportieren und das Image einer ganzen Region nachhaltig zu schädigen.
Der Ursprung modernen Naturweins gehen ins Beaujolais zurück (ab 1979/80 - Marcel Lapierre und Jean-Claude "Le Chat" Chanudet): Auf kleine Mengen beschränkt (<40 hl/ha) und als guter Naturwein ausgebaut ergibt die Gamay-Traube Weine von gönnerischer Frucht, sicherer Kraft, ungemeiner Tiefe und einer Komplexität, die es (inter-) national mit jeder roten Sorte aufnehmen kann. Auch in Sachen Alterungspotential gibt es entgegender landläufigen Meinung keine Bedenken: Die ältesten Tropfen, die ich zu kosten bekam, waren über 20 Jahre alt und ich hatte dabei weder in Farbe noch Aromenspektrum den
Eindruck, ans Ende ihres Lagerungspotentials angelangt zu sein.
Geologisch gesehen ist das Beaujolais ebenfalls besonders: Es sind die nordöstlichen Ausläufer
des Zentralmassivs, deren Vulkankegel heute noch sichtbar sind und ihr Urgestein bis hierher
gespien bzw. geschoben haben: Schiefer in Hülle und Fülle, dunkle, schwere Böden, meist
lehmunterfüttert, bilden die unerschütterliche Grundlage für komplexe Weine. Einige Zungen
dieses Urgesteins reichen ins südliche Burgund: Daher findet man dort als rote Rebsorten nicht
nur Pinot-Noir, sondern ebenfalls den Gamay...
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